Inklusion beim Theater, Teil 2, Theaterpädagogin Sabrina Schultheis berichtet
Weiter geht es mit dem zweiten Teil unserer Reihe „Inklusion beim Theater“.
Unsere Autorin und Theaterpädagogin Sabrina Schultheis berichtet über ihre Arbeit mit behinderten Menschen. Auf ihrer Homepage gibt es aktuelle und ausführliche Informationen:
Theaterstücke zum Nachspielen für Menschen mit und ohne Behinderung, ob groß oder klein, lustig oder traurig, kurzum für jede Gelegenheit, findet ihr bei uns im Theaterverlag Theaterbörse.
Glückspilzfabrik Teil 2, „Nur zusammen sind wir stark“
Im November 2012 habe ich einen Schauspielkurs gegründet. Der hat sich in erster Linie an Kinder und Jugendliche mit Behinderung gewandt, doch sollte er auf Dauer, so war mein Wunsch, inklusiv werden.
Dabei wollte ich aber nie den Blick auf die Menschen mit Behinderung verlieren.
So wurde unser Kurs quasi „andersrum inklusiv“.
Mittlerweile haben wir in unserem Kurs 13 Darsteller, ich möchte Ihnen einen Einblick in die vorhandenen Behinderungen geben und wie wir diese in unseren Alltag integriert haben.
Aber das Wichtigste vorweg: Ich versuche, indem ich mache, was ich mache, mein Menschenbild an meine Umwelt weiterzugeben. Dieses ist ganz einfach: Mir ist egal, wer welche Behinderung hat, das kriegen wir alles eingebaut, wichtig ist mir nur, welchen Charakter Menschen haben.
So lebe ich meinen Alltag und diene hoffentlich sogar als Vorbild.
- Wir haben in dem Kurs einen jungen Mann, der ausschließlich mit Talker (elektronisches Sprachausgabegerät) oder durch Beantwortung von Ja-Nein-Fragen mit körpereigenen Signalen kommuniziert.
In den vergangenen Jahren hat er mehrfach auf eigenen Wunsch die Regieassistenz übernommen, hier hat er am Ende einer einstudierten Szene entschieden, was gut und was schlecht aussah und hat Verbesserungsvorschläge gegeben.
Hier habe ich ihn absolut ernstgenommen, denn seine Vorschläge waren gut. Indem ich dies tat, haben meine Schauspieler gelernt, es ebenfalls zu machen.
Wenn er in Stücken mitspielen wollte, hat er selber entschieden, dass er gerne kleine, textgeringe Rollen haben möchte. Diese hat er mit Talkern einstudiert. Dabei wurde er von seinen Kollegen unterstützt.
Häufig gestaltet er die Aufwärmspiele mit, indem er zum Beispiel Emotionen vorgibt. Alle halten sich an seine Anweisungen.
Wir haben gelernt: Menschen ohne Lautsprache haben etwas zu sagen.
- Wir haben mehrere Menschen, die im Rollstuhl sitzen oder mit Hilfe eines Rollators gehen.
Eine junge Darstellerin wagte es relativ zu Beginn des Kurses einmal, sich darüber zu beschweren, dass die rollstuhlnutzenden Darsteller so lange benötigten, um die Rampe zur Bühne zu erklimmen. Wir haben einen Praxistest gemacht, sie durfte sich in einen Rollstuhl setzen und sollte versuchen, die Rampe selbstständig hochzufahren- sie schaffte es nicht und hatte ab diesem Zeitpunkt Respekt davor und wartete, bis alle Darsteller auf der Bühne waren.
In unserer Institution gibt es schwere Feuerschutztüren, die man im Rollstuhl nicht selbstständig öffnen kann. Wenn also jemand auf Toilette möchte, muss er von einem gehenden Menschen begleitet werden, um die Türen zu öffnen. Da ich die einzige Aufsichtsperson bin, kann ich die Gruppe nicht verlassen, also müssen sich die Darsteller gegenseitig helfen. Mittlerweile haben sich feste Toilettenpartner ergeben, die wie selbstverständlich aufspringen, wenn einer der Rollstuhlnutzer auf Toilette muss.
Am wichtigsten aber war von Anfang an die Frage: Darf oder soll ich schieben? Oder lieber nicht? Hier hab es keine praktischen Übungen, sondern eine einfache Regel, die alle lernen mussten: Wir schieben nur, wenn wir gefragt werden. Die Rollstuhlfahrer lernten, zu fragen, die Gehenden lernten, genau dann zu reagieren. Das war besonders schwierig für die Rollinutzer, die es gewohnt waren, dass sie ständig irgendwo hingeschoben wurden, mittlerweile sind sie selbstständig genug, zu fragen oder Rampenauffahrten auszuprobieren. Die Geher springen auf, wenn sie gefragt werden und warten sonst einfach ab.
Wir haben gelernt: Der Rollstuhl gehört zu den Menschen, die darinsitzen und ausschließlich sie entscheiden.
- Es gibt einen Jungen, der eine schlimme Erkrankung hat, die zur Folge hat, dass jede starke Berührung, jeder Sturz, jeder „blaue Fleck“ für ihn lebensbedrohlich sein kann.
Das war für alle eine große Herausforderung, aber auch das haben wir gelernt. Dieses „Problem“ haben wir einfach ganz offen besprochen, hier gab es keine praktischen Übungen, die die Darsteller zum Selbstlernen aktivieren, hier konnte man nur ehrlich miteinander umgehen. Und was passierte? Alle Darsteller achten wie selbstverständlich auf ihn, warnen ihn, wenn er Gefahr laufen könnte, von der Bühne zu fallen, halten körperlichen Abstand. Nun muss nur noch er lernen, dass eine simple Berührung nicht gleich gefährlich ist. Aber das wird schon werden. 😊
Wir haben gelernt: Manche Dinge muss man einfach ansprechen, dann kann man Probleme gemeinsam lösen.
- Und natürlich haben wir einige Darsteller, die nicht (gut) lesen können. Auch das ist kein Problem. Die Texte werden entsprechend vorbereitet. Mit Piktogrammen oder mit farblichen Markierungen von Rollen und Regieanweisung.
Und wem das nichts hilft, mit dem üben wir den Text gemeinsam, bis er ihn auswendig kann. Manchmal nutzen wir sogar BigPoints (einfache Sprachausgabegeräte), auf denen wir Texte speichern, um mit ihnen zu üben.
Kurz und gut: Wir haben uns dem Thema „Behinderung“ immer mal wieder nebenbei gewidmet, das bleibt nicht aus. Wir haben gelernt, mit all dem zu leben, was den Menschen ausmacht. Wir möchten gar nicht ignorieren, dass Menschen in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich viel Hilfe benötigen, aber wir machen kein Drama daraus, wir leben es. Das macht es einfach.
Über die Autorin:
Sabrina Schultheis (Kommunikations- und Theaterpädagogin, heilpädagogische Ausbildung, Lehrerin an einer Förderschule) ist seit vielen Jahren als Theaterpädagogin und Regisseurin, auch – aber nicht nur – explizit für Menschen mit Behinderung tätig. Die Stücke wurden mehrfach von der Aktion Mensch gefördert. Sie ist Autorin einiger Theaterstücke (darunter „einfach LEBEN“, „Verdächtige“ u.v.m) und des Buches „Praxisbuch: Theaterarbeit mit Menschen mit Behinderung“, dieses gibt noch mehr Tipps und Hinweise.
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