Inklusion beim Theater: Theaterpädagogin und Autorin Sabrina Schultheis berichtet

Es ist normal, anders zu sein.

Von ihrer Arbeit mit vielen „Anderen“  berichtet ab jetzt immer Mittwochs unsere Autorin und Theaterpädagogin Sabrina Schultheis.

Wir bedanken uns herzlich bei ihr für den Einblick in ihre wunderbare Tätigkeit und hoffen dadurch möglichst viele Menschen zum Nachmachen und Nachdenken zu motivieren.

Hier geht es zu ihrer Homepage: wolkendinge.com

 

 

Glückspilzfabrik, Teil 1 : Wie aus einer fixen Idee ein ewiges Projekt wurde

 

Mein Name ist Sabrina Schultheis und durch eine fixe Idee habe ich nun seit Jahren den besten Schauspielkurs der Welt. Wie konnte es so weit kommen?

2012: Weil ich meine Abschlussprüfungen habe, nehme ich nicht am aktuellen Bühnenprojekt teil. Leider gibt es Probleme mit dem Dozenten, man sucht kurzfristig einen neuen Regisseur, und weil ich bereits mal Regieassistenz gemacht habe, werde ich gefragt- und sage zu.

2012: Meine Ausbildung ist gerade beendet und ich bin nach wie vor an einer Förderschule tätig. Ich finde, ich habe den besten Job der Welt.

Auch 2012: Es soll größere Umstrukturierungen in der Institution geben, in der ich selber bis vor kurzem noch an einem Schauspielkurs teilgenommen habe. Weil ich jetzt mehrfach hinter der Bühne- auf dem „Regiestuhl“- gearbeitet habe, werde ich mit allen Dozenten eingeladen- ich gehe hin.

Ideen werden gesammelt und völlig unvorbereitet kam es, wie aus der Pistole geschossen: Warum nicht einen Schauspielkurs für Kinder und Jugendliche mit Behinderung anbieten?

Wer soll das machen? Ich mach das!

Tolle Idee! Kurs gegründet.

So schnell kann das gehen.

Und nun stand ich da, mit einer tollen Idee, quasi ohne jegliche Erfahrung im theaterpädagogischen Bereich und auch ohne Wissen über das Aufziehen eines Kurses.

Also habe ich das einzig Sinnige getan, ich habe mich an dem orientiert, was ich selbst erlebt habe. Ich habe sehr viel geplant- das mache ich bis heute noch, auch wenn alle Pläne meist sehr schnell von den Darstellern wieder über den Haufen geworfen wurden. Und in meine Pläne habe ich all das einbezogen, was ich selber als Teilnehmer gut und sinnig empfand und habe rausgeschmissen, was mir nicht gut vorkam.

So stand ich also am ersten Mittwoch im November 2012 aufgeregt da und wartete, wer denn so alles kommen würde.

Was ich genau mit ihnen vorhatte? Zuerst einmal langweilige Kennenlernspielchen (was keine gute Idee war, weil alle Darsteller von den selben zwei Schulen innerhalb eines Gebäudes kamen und sich sowieso schon kannten) und dann einige Improvisationsübungen, was viel zu anspruchsvoll war, weil sie noch gar keine Bühnenerfahrung hatten.

Kurzerhand- und das sollte in den kommenden Jahren wohl mein Lebensmotto werden- habe ich meine gut durchdachten Pläne völlig über den Haufen geworfen und getan, was mir spontan in dieser Situation das Richtige für die Darsteller erschien. Ich habe einfache Sprachübungen und erste Bühnenerfahrungen mit ihnen erlebt. Ich habe sehr nach am eigenen Leben mit ihnen improvisiert- und ich habe selber mitgemacht.

Was der Vorteil dieser ersten Stunde war? Die Darsteller fühlten sich bei mir offensichtlich wohl, denn sie haben gemerkt, dass ich auf ihre Bedürfnisse eingegangen bin.

Ich war die ganze Zeit sehr ehrlich zu ihnen- noch ein Kredo, das sich durch meine weitere berufliche Laufbahn ziehen sollte- und habe ihnen zu Beginn gestanden, dass ich aufgeregt war und habe ihnen auch eröffnet, dass ich eigentlich einen Plan hatte und den nun ändern würde.

Bei einer Übung sagte ich ihnen sogar, dass ich nicht wüsste, ob das funktionieren würde und dass wir das gemeinsam ausprobieren müssten.

Damit habe ich ihnen mehr durch Zufall, denn durch Absicht die wichtigsten Prinzipien eines gemeinsam handelnden Ensembles mit auf den Weg gegeben:

  • Wir gehören zusammen.
  • Wir probieren einfach mal Dinge aus.
  • Aus Scheitern lernen wir alle.
  • Wir sind ehrlich zueinander.
  • Auf der Bühne ist alles möglich.

Die sechs Darsteller, die an diesem ersten Tag da waren, haben sich dazu entschieden, wiederzukommen. Fünf von ihnen sind bis heute in meinem Schauspielkurs, der seit dieser ersten Stunde gewachsen ist.

Und was habe ich aus dieser ersten Stunde gelernt?

  • Planungen sind gut (aber Spontanität ist besser!)
  • Ich habe Ahnung im heilpädagogischen Bereich (aber theaterpädagogisch musste ich was tun!)
  • Ich bin die Leitung (aber ohne die Darsteller bin ich nichts!)

 

Und so wuchs der Kurs- und mit ihm ich.

Ich habe Theaterpädagogik studiert (und noch einiges mehr),

ich habe mittlerweile nebenberuflich fünf Schauspiel- und Musicalkurse,

ich habe sogar ein Buch geschrieben über Theaterarbeit mit Menschen mit Behinderung,

die Gruppe ist auf 13 Schauspieler angewachsen, viele bleiben, die, die gehen (müssen), verlassen uns nur sehr ungern,

die Gruppe ist sehr inklusiv, wenn ich sagen müsste, wie viele eine Behinderung haben, müsste ich wirklich lange nachdenken,

die Gruppe arbeitet gerade an seinem sechsten Theaterstück, darunter Klassiker und Selbstgeschriebenes,

die Gruppe hat an verschiedenen Wettbewerben erfolgreich teilgenommen.

 

Ich möchte Ihnen in den kommenden Wochen ein wenig darüber berichten, wie wir gewachsen sind, was wir alles geschafft haben und wie wir so weit gekommen sind.

Und all das möchte ich Ihnen erzählen, weil ich hoffe, dass ich einigen Lesern Mut mache.

Mut mache, auch einen solchen Kurs ins Leben zu rufen, denn bisher sind wir deutschlandweit der einzige Kurs, der so funktioniert.

Und dabei habe ich durch diesen Kurs den besten Job der Welt.

 

Über die Autorin:

Sabrina Schultheis (Kommunikations- und Theaterpädagogin, heilpädagogische Ausbildung, Lehrerin an einer Förderschule) ist seit vielen Jahren als Theaterpädagogin und Regisseurin, auch – aber nicht nur – explizit für Menschen mit Behinderung tätig. Die Stücke wurden mehrfach von der Aktion Mensch gefördert. Sie ist Autorin einiger Theaterstücke (darunter „einfach LEBEN“, „Verdächtige“ u.v.m) und des Buches „Praxisbuch: Theaterarbeit mit Menschen mit Behinderung“, dieses gibt noch mehr Tipps und Hinweise.

 

 

Theaterstücke zum Ausdrucken per Download oder schon fertig gebunden per Versand findet ihr bei uns im Theaterverlag Theaterbörse. Schaut doch mal vorbei!

 

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